Unter.uns.

«Dieses Geschenk hat mein ganzes Leben verändert. Ich musste wieder aus dem Haus, hatte plötzlich eine Verantwortung. Lorelei hat mich noch nie enttäuscht, noch nie im Stich gelassen – sie ist immer bei mir, wenn ich mich einsam fühle», wird Klaudia H. in «Unter.uns. – Leben am Rande», zitiert. In diesem Buch zeichnet die Winterthurer Journalistin und Autorin Tanja Polli die Geschichten von neun Menschen nach, deren Leben aus den Fugen geriet. Im Elternhaus, wie bei Beat B., der schon als Kind viel Gewalt erlebt hat. Oder durch einen Schicksalsschlag, wie beim damals 17-jährigen Martin S.: «Meine geliebte Mutter verstarb unerwartet, ich verlor den Boden unter den Füssen und brach die Schule ab».

Die neun porträtierten Personen rutschten in die Drogenszene ab. Viele von ihnen erlebten noch den Platzspitz und den Letten. Alle sind oder waren Klientinnen und Klienten der Angebote der städtischen Prävention und Suchthilfe. Der kontrollierten Heroin- und Methadonabgabe, der Anlaufstelle oder der aufsuchenden Wohnhilfe. Einige schon seit den Anfängen, als diese in den 90er-Jahren entstanden sind.

Zu Wort kommen auch Mitarbeitende von städtischen Institutionen. Etwa der Berufsbeistand von Roland S: «Kürzlich hat er zu mir gesagt, er würde gerne öfters mal anrufen, einfach um mit mir zu plaudern. Das ist mir sehr nahegegangen – weil mir wieder einmal bewusst wurde, wie wenig Zeit in meinem Job für das Zwischenmenschliche bleibt». Dazu passt die Feststellung der Autorin, die im Vorwort festhält: «Was mir aber bei den Begegnungen im Jahr 2023 bewusst wurde. Der Preis für das Verschwinden der Drogenszene ist die Einsamkeit. Für einige Interviewpartner, die sie in diesem Buch kennenlernen, sind die Mitarbeitenden der Anlaufstelle oder der Heroinabgabe die wichtigsten Bezugspersonen überhaupt – manchmal die einzigen Menschen, mit denen sie persönliche Gespräche führen können».

Das Buch zeigt berührende individuelle Lebensgeschichten. Und hält uns als Gesellschaft den Spiegel vor: «Es schmerzt mich zu sehen, mit wie vielen Vorurteilen sie zu kämpfen hat», sagt die Sozialarbeiterin der Wohnhilfe, die Klaudia H. seit fünf Jahren kennt. Am Ende der Buchvernissage, die letzten Monat stattgefunden hat stehen die Autorin Tanja Polli, die Fotografin Ursula Markus und viele Porträtierte auf der Bühne – darunter auch Klaudia H. mit Lorelei, ihrer Hündin.

Nicolas Galladé, Stadtrat und Vorsteher Departement Soziales