Zeit ist Geld
«Ich schaue manchmal neidisch nach Winterthur», sagte die Leiterin Soziales des Kantons Glarus letzte Woche an einer Fachtagung in Bern. Es ging um die Situation der Kinder in der Sozialhilfe. Die Referentin führte aus, dass es wichtig sei, diese zu erkennen und darauf einzugehen. Konkret sprach sie die Winterthurer Studie zur reduzierten Fallbelastung in der Sozialhilfe an. In der Fachwelt ist anerkannt, dass genügend Zeit für Beratung, Betreuung und Beziehungsaufbau der Schlüssel für den Erfolg in der sozialen Arbeit ist.
Zum selben Schluss kommt der Kennzahlenbericht «Sozialhilfe in Schweizer Städten». Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe ist die psychische Situation der Menschen in der Sozialhilfe. Der Anteil von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen in der Sozialhilfe hat zugenommen. Ein Viertel der Klient:innen ist in ihrer alltäglichen Lebensführung dadurch anhaltend und relevant beeinträchtigt. Sie sind nicht arbeits- und ausbildungsfähig, haben Mühe, ihre private Administration oder ihren Haushalt zu bewältigen oder meiden soziale Kontakte.
Eine der Erkenntnisse ist auch in dieser Studie, dass sich der Faktor Zeit in der sozialen Arbeit ausbezahlt. Ein Fallbeispiel aus unserer Sozialberatung konnte dies anschaulich aufzeigen: Als für eine wegen ihrer psychischen Krankheit nicht arbeitsfähige Klientin IV beantragt wurde, verlangte diese einen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik. Die zuständige Sozialarbeiterin wusste aufgrund ihrer guten Beziehung zur Klientin, dass diese davor Angst hat. Auch ihre Psychiaterin riet dringend davon ab. Die Sozialarbeiterin nahm Kontakt auf mit unserer Sozialversicherungsfachstelle und bezog einen Psychotherapeuten und die Psychiaterin ein. Sie erhoben Einsprache gegen die Massnahme der IV und schlugen als Alternative eine ambulante Therapie vor. Die IV akzeptierte dies. Und kam zur Erkenntnis, dass der Anspruch auf IV gegeben ist. Ohne genügend zeitliche Ressourcen hätte die Sozialarbeiterin die Situation der Klientin nicht einschätzen und ihr Umfeld nicht einbeziehen können. Der Abschluss des zweijährigen IV-Verfahrens führte dazu, dass die Frau nun mit der IV-Rente mehr Sicherheit und Stabilität und etwas mehr Geld zur Verfügung hat. Und dass die Sozialarbeiterin den Fall und damit auch die Unterstützung durch die Sozialhilfe abschliessen konnte. Zeit ist Geld. Und darüber hinaus noch viel mehr.
Nicolas Galladé, Stadtrat und Vorsteher Departement Soziales